Digitale Manieren: Was Freiherr von Knigge schon wusste
Ein Politiker einer Partei schreibt auf Twitter – wohlgemerkt unter seinem Realnamen! – als Kommentar zu einem Fotobericht über Malu Dreyer, ihres Zeichens Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und wegen ihrer Erkrankung an Multipler Sklerose in bestimmten Situationen auf den Rollstuhl angewiesen: „… eure Dreyer sollte besser Erwerbsminderungsrente beantragen“. Es sind Wahlkampfzeiten, da weht ein härterer Wind. Aber muss er wirklich so hart sein? Und so geschmacklos? Wo bleiben da eigentlich digitale Manieren?
Ein Richter an einem Strafgericht stellt ein Foto von sich auf Facebook ein, auf dem er ein T-Shirt trägt mit der Aufschrift „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“ (JVA ist das Kürzel für Justizvollzugsanstalt). Der Verteidiger eines Angeklagten nimmt das zum Anlass, die Aussage als Befangenheit des Richters seinem Mandanten gegenüber zu bewerten und stellte Befangenheitsantrag. Der Einlassung, es habe sich schließlich um eine private Äußerung gehandelt, folgt der BGH nicht. Er hebt das gefällte Urteil auf.
Kein Bewusstsein für digitale Manieren
Beiden Fällen ist gemeinsam, dass die Übeltäter kein Bewusstsein darüber haben, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Sie befinden sich damit in bester Gesellschaft mit all denjenigen, die im Netz unhöflich bis zur Unverschämtheit sind und das nicht nur in anonymer Form. Nein, der Realname steht gut sichtbar über den Aussagen. Man verteilt die Schuld an den eigenen Problemen im Job an die Gesellschaft. An das System im Allgemeinen und an ehemalige Vorgesetzte, die einen nicht angemessen gefördert haben, im Speziellen.
Wenn all das nicht hilft, dann gibt es immer noch den unfähigen Personaler, der zu dumm ist, die eigenen Qualifikationen zu erkennen. Oder den geldgierigen Recruiter, der in der Tiefe seiner Seele eigentlich ein moderner Sklavenhändler und ausschließlich hinter der Vermittlungsprovision her ist. Der Sprachgebrauch wird im Laufe solcher Diskussionen rustikaler. Das Auftreten ist zunehmend von Rechthaberei und Zankerei geprägt. Digitale Manieren? – Fehlanzeige! Der unbeteiligte Leser sitzt staunend davor.
Das Internet vergisst nicht
Digitale Manieren und ihre Entwicklung sind in allen Bereichen ein Thema. Speziell in einer Umgebung, in der es um die beruflichen Chancen als Arbeitnehmer allgemein und als Bewerber insbesondere geht. Hier ist ein Verhalten wie oben beschrieben … ja, was? Absonderlich? Unbedacht? Dumm? Gleichgültig? Selbstgerecht? Denn dass genau diese Leute, die man anpöbelt, in den entsprechenden Foren mitlesen, scheint in der Vorstellungswelt dieser User nicht vorzukommen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass man genau sie braucht bei der Jobsuche. Man schreibt sich um Kopf und Kragen und merkt es nicht mal! Warum agieren Menschen so? Weil man es kann? Weil (scheinbar) alles erlaubt ist?
Erklärungen für dieses Verhalten gibt es reichlich. Das Internet wirke sich in der Form auf die sozialen Beziehungen aus, dass sie oberflächlicher würden, dass man sich im heimischen Sessel Kommentare tippend sicher fühle. Man fühlt sich privat, obwohl man eigentlich öffentlich agiert. Und man benimmt sich auch privat: Wenig kontrolliert, locker, ohne soziale Kontrolle, wie sie im öffentlichen Raum immer zugegen ist.
Wenn das so wäre, dann wollte man allerdings mit einer ganzen Reihe von Menschen nie, nie, nie im privaten Zusammenhang zusammentreffen. Denn stellen Sie sich vor, Sie haben so einen Rüpel ständig bei sich zuhause auf dem Sofa sitzen!
Von Rüpeln und Trollen
Dass solch ein Verhalten weder altersabhängig noch eine neue Erscheinungsform ist, lernen wir, wenn wir uns mit dem guten, alten Freiherrn von Knigge beschäftigen. Der beschreibt in einem Kapitel seines Buches „Über den Umgang mit Zanksüchtigen, Widersprechern und solchen, die Paradoxa lieben“ diesen Menschentyp folgendermaßen:
„Eine besondere Gemütsart, die mehrenteils aus Eigensinn entspringt, doch auch wohl zuweilen bloß Bizarrerie oder ungesellige Laune zur Quelle hat, ist die Zanksucht. Es gibt Menschen, die alles besser wissen wollen, allem widersprechen, was man vorbringt …. Nur um das Vergnügen zu haben, disputieren zu können. …endlich noch andere, die man Querelleurs , Stänkerer nennt, suchen vorsätzlich Gelegenheit zu persönlichem Zanke …“
Ist das nicht die perfekte Beschreibung eines Internet-Rüpels, eines Trolls par excellence? Ein Lösung, wie man mit dieser Spezies umgehen sollte, hat er auch: „Im Umgang mit allen diesen Leuten rate ich die unüberwindlichste Kaltblütigkeit an …“ Die kann in Internetzeiten im konkreten Fall vom Ignorieren über eine knappe und klare und überaus höfliche Ansage gehen, dass das nicht der Stil ist, in dem man diskutieren möchte.
Vielleicht, ganz vielleicht – wenn Sie und ich und noch ein paar andere das konsequent so machen – wird die Kommunikation im Netz ein klein wenig manierlicher!
Ganz herzliche Grüße Ihre Sabine Kanzler
Bild: Garry Knight | flickr.com | CC by 2.0 | Ausschnitt