Preisverhandlungen – Die alten Mythen vom Rabatt
Dürfen Pilzgerichte aufgewärmt werden? Nun, natürlich nicht, denn jeder weiß, dass die Pilze dann giftig werden. Meine Oma wusste das und hatte es vermutlich von ihrer eigenen Mutter gelernt. Auch meine Mutter schwört Stein und Bein, dass es stimmt. Tut es aber nicht. Es handelt sich dabei um einen Irrtum, der noch aus einer Zeit stammt, in der es noch keine Kühlschränke gab und Pilzgerichte wirklich für die eine oder andere Magenverstimmung sorgten. Dennoch fragt man sich, wieso solche Weisheiten scheinbar ewig bestehen und nicht hinterfragt werden. Das gilt nicht nur für Pilzgerichte. Sondern auch für Preisverhandlungen mit potentiellen Kunden.
Veraltete Annahmen zu Preisverhandlungen überdenken
Lassen sie uns also die Mottenkiste des Vertriebs öffnen und die alten Annahmen zu Preisverhandlungen überprüfen. Dazu habe ich ein paar Thesen ausgewählt, die ich hin und wieder von meinen Seminarteilnehmern höre.
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These 1: Einem Einkäufer muss man bei Preisverhandlungen Rabatt gewähren, sonst hat man keine Chance, den Auftrag zu bekommen.
Betrachten wir das Ganze doch mal aus der Vogelperspektive. Da haben wir den Anbieter, der zumindest in der engeren Wahl ist. Und dann haben wir das Unternehmen, vertreten durch den Einkäufer, das nicht zu viel für die passende Lösung ausgeben will.
Was würde wohl mit einem Einkäufer passieren, der nicht den betriebswirtschaftlich passendsten Anbieter wählt? Und was würden Sie mit einem Mitarbeiter machen, der einen teureren oder schlechteren Anbieter nimmt, nur weil dieser einen prozentual höheren Rabatt gewährt?
Das ist natürlich nur eine rhetorische Frage. Genau deswegen sind Belohnungen für Einkäufer, die den Rabatt maximieren, längst auf der Müllhalde des Blödsinns entsorgt worden (falls es sie denn je gab). Jedoch hat so mancher Einkäufer erkannt, dass sich diese Legende gut als Einstieg in Preisverhandlungen eignet. Ich würde das auch versuchen, wenn ich Einkäufer wäre. Mit diesem Wissen können Sie sich zukünftig vielleicht besser wehren.
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These 2: Wenn man einen neuen Kunden gewinnen will, muss man beim Preis Zugeständnisse machen und erst später die Preise erhöhen.
Das mag auf den ersten Blick selbstverständlich sein, ist auf den zweiten aber ziemlicher Unsinn. Vor allem, wenn wir den Blick auf die Zukunft richten. Was soll dann unsere Argumentation sein? „Ich hatte ihnen ja bei der letzten Preisverhandlung einen guten Rabatt gegeben. Deshalb sollten Sie sich jetzt erkenntlich zeigen und teurer kaufen …“ Das ist allerdings zum Scheitern verurteilt, denn es ist immer noch die Aufgabe des Einkäufers, den besten Preis zu finden. Weswegen er bei der nächsten Verhandlung den gleichen Nachlass fordern wird.
Diesmal wird er es sogar noch einfacher haben. Denn Sie haben ja bei früheren Geschäften schon gezeigt, dass ein Rabatt drin ist. Und genau aus diesem Grund – weil der Einkäufer Ihren Spielraum für Nachlässe ermitteln will – ist ein Zugeständnis zu Beginn der Geschäftsbeziehung kontraproduktiv.
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These 3: Manche Einkäufer sind mir wohlgesonnen. Wenn Sie mir bei Preisverhandlungen sagen, wo der Wettbewerber liegt, bekomme ich die Gelegenheit, ihn zu unterbieten.
Kommt Ihnen dieser Satz bekannt vor: „Ich würde ja gerne bei Ihnen kaufen, aber der Wettbewerber ist bei ansonsten gleichem Angebot 10 Prozent günstiger. Wenn Sie gleichziehen, haben Sie den Auftrag!“ Eine Steigerung wäre dann beispielsweise die Aussage: „Der Wettbewerber ist 20 Prozent günstiger. Bei gleichem Angebot. Weil wir uns schon so lange kennen, gebe ich Ihnen den Auftrag, wenn wir uns bei der Hälfte treffen.“
Versetzen wir uns nun in die Lage des Einkäufers. Da sind zwei vergleichbare Angebote, die keinen qualitativen Unterschied aufweisen und sich nur im Preis unterscheiden. Welchen Grund sollte es geben, den Anbieter mit dem höheren Preis anzurufen und ihn zu bitten, seinen Preis leicht zu senken?
Wahrscheinlich keinen. Sie müssen nur noch den günstigeren Preis wählen und dann haben Sie schon geschafft, was Sie sonst erst nach einem weiteren Telefonat erreichen würden. Abgesehen davon gibt es aus Sicht des Einkäufers auch keinen Grund, für ein Angebot mehr zu zahlen, nur weil man den Anbieter kennt. Das wäre wohl eher ein Kündigungsgrund. Ich kann mir dieses Vorgehen nur auf zweierlei Weise erklären:
Es gibt offenbar doch einen Qualitätsunterschied bei den Angeboten. Vielleicht in den Lieferbedingungen oder in der Gewährleistung. Jetzt geht es darum, herauszufinden, was dem Kunden die bessere Qualität wert ist. Die zweite Möglichkeit ist, dass Sie eigentlich bereits der günstigere Anbieter sind. Der Einkäufer jedoch versucht, den Preis noch weiter zu drücken.
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These 4: Bieter-Auktionen auf Einkaufsportalen im Internet muss man mitmachen, sonst macht man kein Geschäft.
In manchen Einkaufsorganisationen hat sich durchgesetzt, dass fast alle Einkaufsentscheidungen von geringem strategischem Wert über eine Bieter-Auktion getätigt werden. Das ist wie bei einer klassischen Auktion, nur dass sich die Anbieter so lange beim Preis unterbieten, bis das geringste Gebot feststeht.
Seien Sie sich dessen bewusst, dass dies nur bei wenigen Einkaufsentscheidungen funktionieren kann. Warum? Lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutlichen:
Nehmen wir an, Sie wollen Ihr neues Eigenheim mit einer Schließanlage sichern. Es geht um neue Schlösser und vielleicht sogar um eine Alarmanlage, die Sie und Ihre Familie sichern soll. Können Sie sich vorstellen, dass Sie ein Plakat an Ihrem Haus aufhängen: „Neue Schließanlage gesucht. Der günstigste Anbieter bekommt den Auftrag“? Wenn Sie das tun, dann müssen Sie damit rechnen, dass Sie ein unglaublich günstiges Angebot von einem „Anbieter“ bekommen, der allerdings etwas ganz anderes im Schilde führt. Ihm geht es lediglich darum, später jederzeit Zugang zu Ihrem Haus zu haben, damit er Sie um Ihr Hab und Gut erleichtern kann. Dass so etwas passieren könnte, wissen wir alle. Und deshalb würden wir das Risiko nie eingehen.
Sinn und Unsinn von Bieterauktionen und Preisverhandlungen
Warum machen es dann große Unternehmen? Normalerweise deshalb, weil bei weniger wichtigen Produkten das Risiko beschränkt ist. Wenn allerdings beispielsweise die Dienstleistung „Wartung und Upgrade der Internet-Firewall“ über eine solche Auktion läuft, dann ist es schon verwunderlich. Aber es kommt trotzdem vor. Und zwar deshalb, weil der Einkauf innerhalb seiner Zielsetzung im Silo denkt. Aus Sicht des Einkaufs ist die Wartung der Firewall vielleicht nicht strategisch. Aus Sicht des Entwicklungsvorstands ist sie das allerdings durchaus. Denn er will auf jeden Fall vermeiden, dass andere Unternehmen die Entwicklungsergebnisse ausspähen könnten.
Abteilungen haben Abteilungsziele und richten sich danach. Dass das im Falle von Einkaufsabteilungen zu millionenschweren Fehleinschätzungen führen kann, ist mehrfach in der Praxis bewiesen worden. Denken Sie nur an das bereits erwähnte Beispiel, bei dem ein Automobilkonzern die Einkaufspreise mit einer Multi-Lieferanten-Strategie optimiert hatte. Dabei allerdings übersah, dass die Folgekosten in der Produktion und im Service die Vorteile in einen Kostennachteil umkehrten.
Wenn Sie öfter mit Bieter-Auktionen konfrontiert sind, ist es offensichtlich, dass man Ihr Leistungsangebot als strategisch nicht so wichtig einschätzt. Deshalb lohnt es sich, gründlich zu überlegen, wie Sie die Ansprache der wahren Entscheider verbessern und Wege aus der Vergleichbarkeit finden können. Unser nächstes Kapitel wird sich damit ausführlich beschäftigen.
Ihr Stephan Heinrich
Siehe auch: Angebot erstellen: Bausteine und Tipps für mehr Erfolg
Bild: Christopher Sessums | flickr.com | CC by 2.0 | Ausschnitt