Streik und Mitbestimmung in Deutschland
Viele von Ihnen werden auch mit Erstaunen oder gar Bestürzung die massenhaften Krankmeldungen als Form des Protestes gegen Unternehmensentscheidungen der TUIfly mitbekommen haben. Dieser wilde Streik ist für den Arbeitgeber relativ schwer anzugreifen. Denn die meisten Arbeitsverträge sehen eine Attestpflicht erst ab dem dritten Fehltag vor. Rückwirkend nachzuweisen, dass jemand nicht krank war, ist nahezu unmöglich. Zumal in diesem Fall ja auch die Belastung durch die drohende Arbeitsplatzunsicherheit als Grund für die Erkrankung angeführt wurde. Und das ist natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen.
Falsche Krankmeldungen sind Betrug
Unter dieser Massenerkrankung litt aber nicht nur das Unternehmen. Auch die Kunden standen kurzfristig vor zerplatzten Urlaubsträumen oder kamen nicht rechtzeitig zurück aus dem Urlaub. Außerdem wird sich der eine oder andere Arbeitgeber überlegen, ob er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in zukünftigen Arbeitsverträgen bereits ab dem ersten Tag verlangt – ggf. in Absprache mit dem Betriebsrat. Obwohl natürlich auch Ärzte oftmals nur bescheinigen können, was ihnen der Patient erzählt. Festzustellen bleibt aber an dieser Stelle, dass, wer nur vorgibt krank zu sein, Betrug begeht und außerdem Sozialleistungen ausnutzt. Unabhängig davon, ob die Krankmeldung eine Form von Protest ist oder nicht.
Arbeitnehmermitbestimmung in großen Unternehmen
Seit gut 40 Jahren existiert in Deutschland das Mitbestimmungsgesetz, das die Arbeitnehmer an den Unternehmensentscheidungen großer Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Mitarbeitern über den Aufsichtsrat beteiligt. Davor gab es bereits die Mitbestimmung in den Montan-Unternehmen des Bergbaus und der rohstoffverarbeitenden Industrie und das Betriebsverfassungsgesetz.
Abhängig von der Größe und der Organisationsform eines Unternehmens gestaltet sich die Mitbestimmung und Arbeitnehmerbeteiligung sehr unterschiedlich. In Personengesellschaften gilt das Mitbestimmungsgesetz nicht – und für Kapitalgesellschaften ab 500 Mitarbeitern das deutlich schwächere Drittelbeteiligungsgesetz.
Wenn auch von Anfang an kontrovers von verschiedenen Teilen der Gesellschaft diskutiert, so werden diese Mitbestimmungsrechte durchaus auch sehr positiv bewertet, und teilweise sogar als Standortvorteil für Deutschland gesehen. Die konsensorientierte Lösungsfindung in großen Unternehmen fördert oft die Anerkennung durch die meisten Beteiligten und führt zu einer Leistungssteigerung.
Betriebsräte vertreten Arbeitnehmerrechte
Das Betriebsverfassungsgesetz garantiert die Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmensentscheidungen auf Betriebsebene. Betriebsräte dürfen in Unternehmen ab fünf Mitarbeitern gewählt werden und müssen an vielen Prozessen beteiligt werden – an Entlassungen und Einstellungen beispielsweise oder auch betrieblichen Regelungen zur privaten Internetnutzung. Die Zahl der Betriebsräte richtet sich nach der Unternehmensgröße. Für ihre Tätigkeit als Betriebsrat werden sie von anderen Tätigkeiten entbunden. Ab 200 Mitarbeitern kann ein Betriebsrat vollständig von der Arbeit freigestellt werden.
Kommt ein Unternehmen in eine Schieflage, muss der Betriebsrat informiert werden und darf eigene Vorschläge zur Beschäftigungssicherung erarbeiten, mit denen sich der Arbeitgeber auseinandersetzen muss. Zum Streik darf ein Betriebsrat aber nicht aufrufen.
Gewerkschaften als institutionelle Arbeitnehmervertretung
Das Grundgesetz sieht als Organisationsform der Arbeitnehmer die Gewerkschaften vor. Diesen kommt die zentrale Bedeutung der Arbeitnehmervertretung in Tarifvertragsverhandlungen zu. Neben dieser Aufgabe haben sich die Gewerkschaften jedoch ebenfalls die Aufgabe gestellt, alle Arbeitnehmerbelange zu vertreten und als politischer Lobbyverband der Arbeitnehmerinteressen im demokratischen System Deutschlands zu dienen.
Im Rahmen der Mitbestimmung bekamen die Gewerkschaften einige selbsständige Rechte. Als wichtige Organisationen sind sie auch in anderen Bereichen beteiligt, wie zum Beispiel in Rundfunkräten. Allein die Gewerkschaften dürfen im Rahmen von Tarifverhandlungen zu Streiks aufrufen.
Der Streik – nur für die Durchsetzung von Tarifverträgen erlaubt
Anders als man es aus anderen Ländern kennt, sind in Deutschland Generalsstreiks oder politische Streiks nicht erlaubt. Nur Gewerkschaften dürfen Forderungen für abzuschließende Tarifverträge durch einen Streik unterstützen – zumeist in Form von Warnstreiks. Die Einberufung eines Streiks unterliegt bestimmten Regeln. Ein Streik, der diesen Regeln nicht entspricht, kann Schadenersatzforderungen für die Organisatoren und Beteiligten nach sich ziehen. Das gilt auch für „wilde Streiks“ ohne Beteiligung einer Gewerkschaft.
Arbeitnehmerproteste, die nicht im eigentlichen Sinne Streik sind, werden oft als „betriebliche Informationsveranstaltungen“ oder ähnliches deklariert. Eine besondere Form des wilden Streiks ist das so genannte „Sick-out“. Dabei melden sich viele Arbeitnehmer spontan und zeitgleich krank. Obwohl illegal, lässt sich hierbei die individuelle Betrugsabsicht schwer nachweisen.
Am Ende bleibt trotzdem oft Hilflosigkeit
Ganz grundsätzliche Entscheidungen trifft der Eigentümer eines Unternehmens aber schlussendlich immer selbst. Zwar ist er verpflichtet, die Arbeitnehmervertretungen zum Beispiel über Betriebsschließungen zu informieren und sich ihre Vorschläge anzuhören – am Ende entscheidet aber er allein. Auch über die Veräußerung von Betriebsteilen – aus welchen Gründen auch immer. Wie eine Belegschaft öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erlangt, muss sie dann im Einzelfall entscheiden.
31.10.2016
Bild: succo | pixabay.com