Unhöflichkeiten: Exklusive Publikumsbeschimpfung
Sind Sie alt genug, damit Sie sich noch an Peter Handke und seine „Publikumsbeschimpfungen“ erinnern? Gibt es die heute noch auf deutschen Bühnen? Lernen am Ende gar junge Leute in den Deutschkursen der gymnasialen Oberstufe, was es damit auf sich hat? „Das Publikum wird“ … so Wikipedia, „mit allerlei Unerfreulichem betitelt… Nach den Beschimpfungen wird dem Publikum von den Darstellern eine gute Nacht gewünscht und lauter Beifall geklatscht.“ Im Klartext: Der Theaterbesucher bezahlte dafür, mit Unhöflichkeiten überschüttet zu werden. Prima!
Verkaufsförderung durch Unhöflichkeiten?
An solch ein Vorgehen fühlte ich mich erinnert, als ich über eine im Journal of Consumer Research veröffentlichte Studie der University of British Columbia las. „Die Wissenschaft“ hat dort nämlich festgestellt, dass teure Produkte – Luxusprodukte – umso begehrenswerter sind, je herablassender das Personal im Geschäft auftritt. Nicht in jedem Fall! Unhöflichkeiten ziehen nur bei Leuten, die noch nicht im Besitz einer Gucci-Tasche sind. Oder eines Ferrari. Die wollen nämlich nicht nur das Produkt, die wollen durch den Kauf zum Club der Reichen und Schönen dazugehören. Deswegen hätte diese Gruppe eine höhere Preisbereitschaft.
Neue Welten tun sich auf! Wenn wir bisher davon ausgingen, dass das Verkaufspersonal entgegenkommend, höflich und kommunikativ sein muss, um den Besuch eines Shops zum Verkaufserlebnis werden zu lassen, lernen wir jetzt, dass das nicht immer sein muss. Eine gewisse Blasiertheit – angemessen zur Schau getragen – kann durchaus umsatzfördernd sein. So weit, so gut.
Da wir uns hier auf einer Plattform befinden, die auch Verkaufsjobs vermittelt, muss natürlich die Frage gestellt werden, was das für den Bewerbungsprozess bedeutet. Die Überlegungen nach einer adäquaten Selbstdarstellung für einen Job in diesem Segment fangen bei der Auswahl eines Bewerbungsfotos an und enden bei der Frage, wie man am besten seine Soft Skills beschreibt.
Haben Sie den sicheren Blick?
Wenn Sie denn das passende Foto mit dem (leicht) arroganten Blick und die treffenden Worte gefunden haben, dann überlegen Sie weiter: Hat der Empfänger dieser Bewerbung diese Studie gelesen? Glaubt er an die dort getroffenen Aussagen? Ist das Unternehmen wirklich so angesagt und so weit im Luxussegment angesiedelt, dass diese Aussagen auch passen?
Außerdem: Wie teilen Sie mit, dass Sie den sicheren Blick haben, den zahlungsbereiten Erstkunden treffend zu identifizieren? Haben Sie den überhaupt? Können Sie mit absoluter Sicherheit unterscheiden, wer schon eine ganze Kollektion Gucci im Schrank hat, wer gerade seinen dritten Masarati kauft und heute ausnahmsweise (total understatementmäßig) daherkommt wie aus der Altkleidertonne gezogen? Fragen über Fragen… und keine Antwort in Sicht, die wirklich Sicherheit für ein Erfolg versprechendes Vorgehen in Aussicht stellt!
Ganz am Ende noch der entscheidende Hinweis: Offenbar klappt das mit den Unhöflichkeiten nur beim ersten Kauf! Wenn der Verkäufer da nämlich so gnädig war, das Produkt für gutes Geld auszuhändigen, dann gehört man ja zum Club dazu als Kunde. Kann wieder nachdenken, vergleichen … und gegebenenfalls feststellen, dass man mehr bezahlt hat als Millionärs von nebenan, die ganz ungeniert gefeilscht und deswegen weit weniger Geld auf den Tisch gelegt haben.
Was bleibt als Erkenntnis?
- Erstens: Es ist alles nicht so leicht!
- Zweitens: Am besten liest man solche Erkenntnisse mit dem angemessenen Amüsement!
Ihre
Sabine Kanzler
Siehe auch: Qualität und Preis – Die Lust auf Luxus
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