Verkaufschancen erkennen und richtig nutzen
Eine der wichtigsten Aufgaben lautet: Selektieren Sie die guten von den schlechten Verkaufschancen. Sicher kennen Sie das Zitat aus dem Märchen Aschenputtel: „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.“ Oder wie die Amerikaner sagen: „For the Birds“ – Überflüssig. Bei manchen Vertriebsorganisationen scheint es aber, dass auch jene Linsen, die im Grunde von Vornherein für das Kröpfchen vorgesehen waren, erst noch aus dem Staub gefischt und mühselig gesäubert werden, nur um sie dann entmutigt doch wieder zu den anderen schlechten Linsen zu werfen.
Möglicherweise ist Ihnen das ja nicht unbekannt und Sie melden sich vielleicht zum dritten oder vierten Mal bei „einem vielversprechenden Kontakt“ und derjenige sagt Ihnen: „Danke, dass Sie sich melden. Das Thema ist noch immer sehr interessant für uns. Allerdings ist es im Moment für uns nicht passend. Lassen Sie uns doch in drei bis vier Monaten noch einmal telefonieren.“ Und wenn Sie ehrlich sind, ist dieser Wortlaut vermutlich identisch mit dem vorangegangener Gespräche.
Im Grunde ist klar, dass es sich bei solchen „vielversprechenden Kontakten“ um keine attraktiven Verkaufschancen handelt. Denn alles wird immer wieder verschoben und es hat sich nichts getan. „Jetzt dranbleiben“ mögen Sie sich denken, indem Sie sich an Ihr erstes Vertriebstraining erinnern. Oder: „Verkaufen beginnt beim Nein“. Insbesondere der letztere Satz sollte auf der Müllhalde der Vertriebsgeschichte entsorgt werden.
Angenommen, Sie sind in einer Bar und sprechen jemanden an, der Ihnen gefällt. Wenn die Antwort „Nein“ lautet, probieren Sie es vielleicht noch ein-, zweimal, belassen es dann aber dabei und orientieren sich weiter. Genau das machen gute Verkäufer in ihrem Job.
Warum es uns schwer fällt, von schlechten Verkaufschancen zu lassen
In der Theorie klingt das einleuchtend, leider hapert es aber oft an der Praxis. Warum ist das so? Das Problem liegt darin, dass es uns schwer fällt, eine Sache aufzugeben, in die wir viel Zeit und Mühe investiert haben. Dies gilt für fast alle Bereiche unseres Lebens und lässt sich ganz besonders auch im Vertrieb beobachten. Je mehr Zeit, Hoffnung und Vorleistungen in potenzielle Verkaufschancen investiert wurden, desto schwerer fällt es, sie aufzugeben. Dabei ist es wesentlich wirtschaftlicher und produktiver, die frei gewordenen Ressourcen bei einem Abbruch der Bemühungen in andere Projekte zu stecken. Oder um es mit einer Weisheit der Dakota-Indianer auszudrücken: „Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest – steig ab!“.
Es ist interessant, dass diese Weisheit meinen Seminarteilnehmern zwar absolut klar ist und trotzdem kaum Anwendung findet. Viele Verkäufer neigen dazu, ihre toten Pferde sozusagen zu schultern und zum nächsten Wasserloch zu schleppen. Das tun sie in der irrationalen Hoffnung, dass dann wieder alles gut wird. Wird es aber nicht.
Legen Sie einen Eskalationsplan fest!
Kann man sich Rat von Profis holen, die ähnliche Situationen tagtäglich zu meistern haben? Nehmen wir zum Beispiel ein Team von Notfallmedizinern. Wie würde es an eine Aufgabe herangehen, wenn der Verdacht bestünde, dass der Patient tot ist? Zunächst einmal würde das Team versuchen, den Patienten wiederzubeleben, vielleicht mit einem Defibrillator, eingestellt auf 100 Joule. Glückt der erste Versuch nicht, würde es sicherlich einen zweiten Versuch geben. Im Unterschied zum ersten würde sich jedoch etwas ändern, die Dosis vermutlich. Nie würde ein professionelles Team aber die gleiche Handlung Stunden um Stunden ausführen. Die Alternative heißt: Eskalation! Legen Sie einen Eskalationsplan fest. Halten Sie fest, wie oft Sie sich vertrösten lassen wollen. Einmal? Zweimal? Oder noch öfter? Wie dem auch sei, legen Sie fest, ab welchem Zeitpunkt Sie andere Maßnahmen ergreifen und bildlich gesprochen von 100 auf 200 Joule umschalten wollen.
Was Sie sagen können, wenn Sie zum xten Mal vertröstet werden:
„Lieber Kunde, wie ich sehe, ist das Thema für Sie im Moment nicht akut. Wir sind sehr darauf bedacht, niemanden zu seinem Glück zu zwingen. Daher darf ich Sie nicht mehr anrufen. Es steht Ihnen allerdings frei, mich jederzeit zu kontaktieren, wenn Sie den besprochenen Nutzen für sich realisieren möchten.“
„Lieber Kunde, wir nehmen das Thema Datenschutz sehr ernst. Weil wir in keiner Geschäftsbeziehung stehen, darf ich Sie ab jetzt nicht mehr anrufen. Allerdings können Sie diesen Bann brechen, indem Sie mich anrufen, sobald Sie bereit sind, die besprochenen Nutzeffekte in Ihrer Bilanz sichtbar zu machen.“
Finden Sie das zu provokant? Nun ja, es mag etwas frech sein. Aber diese Strategie hilft, eingefahrene Muster zu durchbrechen, neu zu beginnen oder frei gewordene Ressourcen woanders nutzbringender einzusetzen. Ich bin nämlich absolut überzeugt, dass durchschnittliche Vertriebsorganisationen 15 Prozent ihrer Zeit mit sinnlosen Vertriebsaktivitäten verschleudern, obwohl bereits im Vorhinein klar war, dass keine davon zum gewünschten Erfolg führen würde. Ein Eskalationsplan hilft, diese Zeitreserve sinnvoll einzusetzen – und wer würde das nicht wollen?
Ihr Stephan Heinrich
09.04.2014
Bild: iKLICK |pixabay.com | Ausschnitt