Formen der Höflichkeit: Überall am Telefon?
Sind Sie bedeutend? Nicht so sehr und so wirklich wie vielleicht der CEO eines internationalen Megakonzerns. Eher normalbedeutend. Etwa so bedeutend (und damit viel beschäftigt), dass Sie es sich eigentlich nicht leisten können, eine längere Zugfahrt ungenutzt und ohne zu arbeiten verstreichen zu lassen. Oder ewig im Restaurant herumzusitzen und zu warten. Erst auf die Getränke, dann aufs Essen und zum Schluss auf den Kaffee!
Dem Himmel und der modernen Technik sei‘s gedankt – ungenützte Zeiten und sinnloser Leerlauf müssen nicht mehr sein. Dank Smartphone und was es da sonst noch so gibt an technischem Kommunikationsschnickschnack kann man ja überall noch ein paar wichtige Telefongespräche erledigen. Bevorzugte Ort dafür: Bahnhof, Flughafen aber auch jede beliebige Fußgängerzone.
Der wahrhaft wichtige Telefonierer
Wie bedeutend jemand ist, das kann man teilweise schon von weitem sehen, noch ehe man etwas hört. Der wahrhaft wichtige Telefonierer steht nämlich nicht irgendwo in der Ecke, den Blick zum Boden gesenkt und voll auf das Gespräch konzentriert. Nein, er steht in erster Linie im Weg. Und da die 70, 80 oder 90 Kilo nicht raumgreifend genug sind, hält er den Handyarm auf Schulterhöhe im rechten Winkel vom Körper abgespreizt. Muss ich erwähnen, dass das in erster Linie Männer sind?
Wenn man dann näher kommt, hört man ihn auch. Nein, man versteht aus 10m Entfernung nicht die Worte, die er sagt! Aber man möchte ihm doch zurufen: „Sie haben doch ein Telefon in der Hand und Ihr Gesprächspartner auch! Auf Ihrer Seite nennt man das, wo Sie rein sprechen ‚ ‚Mikrophon‘, und auf der anderen Seite hat Ihr Partner einen ‚Lautsprecher‘ am Ohr, da kommen auch Ihre leisen Worte ganz deutlich und klar raus!“
Formen der Höflichkeit und die globalisierte Welt
Kennen Sie jemanden, der so eine Zurschaustellung von Bedeutung der eigenen Person wirklich in Ordnung findet? Der sich nicht mehr oder weniger dadurch gestört fühlt? Der gesellschaftliche Konsens, was Formen der Höflichkeit betrifft, ändere sich, heißt es. Das sei in einer globalisierten Welt so und man müsse sich daran gewöhnen. Muss man wirklich?
Wenn jetzt mit diesem Telefonat die Firma vor dem Ruin gerettet würde, wenn es um einen großen Abschluss ginge, wenigstens um einen kleinen – o.k. Was erleidet man in Zeiten wie diesen nicht fürs steigende Bruttosozialprodukt? Da spucken wir doch alle in die Hände!
Aber wenn man dann näher kommt und man versteht endlich ganz deutlich: „Ja, der Zug hat die Verspätung aufgeholt! Ich bin dann pünktlich … was hast Du gesagt? Da ist gerade so ein Krach hier, die Leute – keine Rücksicht! … Ja, ich bringe noch ein Baguette mit …!“, dann …möchte man fast alle Formen der Höflichkeit vergessen!
Laut lachen wäre wahrscheinlich die beste Lösung. Die zweitbeste? Schnell ein möglichst klebriges Kaltgetränk kaufen und mit der offenen Dose ganz schusselig und aus Versehen gegen den abgewinkelten Arm laufen. Und sich ganz doll entschuldigen, dass der Saft auf den schönen Anzug gespritzt ist.
Aber wir kennen ja trotz globalisierter Welt die üblichen Formen der Höflichkeit. Also belassen wir es beim Lachen. Am allerbesten beim leisen Lachen!
Ihre
Sabine Kanzler
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