Inkompetenz: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
Mit diesem Bewusstsein hätte Sokrates nie Karriere gemacht in der heutigen Zeit. Und ob er im Vorstellungsgespräch damit hätte punkten, ob er überhaupt einen Job hätte bekommen können, das sei auch dahingestellt. Denn ein promovierter Psychologe von der Uni Leipzig, Michael Dufner, hat in einer Studie herausgefunden, dass es im Berufsleben lohnend ist, das eigene Wissen und Können zu überschätzen. Wer sich für besser halte, als er es tatsächlich sei, der gelte bei seinen Mitmenschen als emotional stabil, sozial attraktiv und einflussreich. Alles Faktoren, die im Bewerbungsgespräch punkten lassen und damit eine Jobzusage bringen.
Jede Menge Potenzial für den Job?
Dass die tiefe Überzeugung, ein toller Hecht zu sein und jede Menge Potenzial für den Job zu haben, nichts mit der Realität zu tun haben muss, dass zeigen uns das Supertalent, DSDS und das nächste Topmodell. Fremdschämen gehört beim Zuschauen zum Feierabendprogramm. Wir fragen uns, ob nicht eigentlich ein kleines Liedchen, Freunden vorgeträllert, genügen müsste, einem die eigene Inkompetenz vor Augen zu führen. Da aber eine mehr oder weniger liebenswürdig agierende Jury zwischen Talentfreiheit und großer Bühne geschaltet ist, zerplatzt schon sehr früh so mancher Lebenstraum, als Superstar groß rauszukommen. „Gott sei Dank!“ kann man nur sagen.
Gleiches gilt für die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten als Autofahrer. Ca. 80 % halten sich für besser als der Durchschnitt. Der Trottel, der heute Morgen vor mir hergefahren ist und mich am zügigen Fahren gehindert hat, gehörte wohl auch dazu! 😉
Keine Jury für den Bewerber
Im realen Leben – im realen Arbeitsleben – gibt es keine Jury. Da gibt es Mitarbeiter, die für Personalbeschaffung zuständig sind. Ihre Aufgabe ist es, den Richtigen auszuwählen aus den zur Verfügung stehenden Bewerbern. Oft klappt das ja auch. Denn natürlich gibt es Unternehmen, in denen Mitarbeiter eine hohe Verweildauer haben, sich weiter entwickeln und Karriere machen. Auf der anderen Seite stehen Unternehmen (oder auch Unternehmensbereiche) mit hoher Fluktuation und gleichermaßen unzufriedenen Mitarbeitern und Vorgesetzten. Man fragt sich, wie da eigentlich Gewinne erwirtschaftet werden können.
Fehleinschätzungen bei Personalentscheidungen gibt es auf allen hierarchischen Stufen in Unternehmen. Da kann es schon vorkommen, dass ein Kandidat seine Kenntnisse, seine Fähigkeiten, seine Belastbarkeit überschätzt und dann im Job scheitert. Gerechtigkeitshalber muss man aber Eines festhalten: Es gehören zwei zu diesem Prozess der Fehlbesetzung! Der Bewerber, der sich überschätzt und ein Personaler, der glaubt, was man ihm so alles auftischt im Gespräch.
Inkompetenz und Selbstüberschätzung
Denn es gibt auch den Dunning-Kruger-Effekt. Dessen Erkenntnisse spielen zwar in der psychologischen Fachliteratur kaum eine Rolle. Aber die erlebte Realität des ganz normalen Alltagswahnsinns deutet darauf hin, dass was dran ist an den dort gemachten Beobachtungen. Demnach besteht nämlich die Tendenz bei inkompetenten Menschen, das eigene Können zu überschätzen. Und damit auf der anderen Seite die Leistungen kompetenterer Personen zu unterschätzen. So könne man überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen und damit auch nicht das Ausmaß der eigenen Inkompetenz.
Was wäre also, wenn zwei, die sich überschätzen, im Bewerbungsverfahren aufeinander träfen? Dann hätten selbstkritische Realisten wohl kaum eine Chance. Gleich auf welcher Seite des Tisches sie sitzen. Jedenfalls nicht kurzfristig! Wie Sokrates zu sein, wie er zu denken, lohnt sich schon. Allerdings eher auf lange Sicht, wenn wir uns seine Karriere als Philosoph anschauen. Einen Zeithorizont von etwa 2000 Jahren sollten Sie schon einkalkulieren.
Beste Grüße Ihre Sabine Kanzler
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