Anonymisierte Bewerbungsprozesse: Ein Zukunftstrend?
Vorurteile, Gendergap und Diskriminierung sind in der heutigen Zeit Begriffe, die in zahlreichen Zusammenhängen für Diskussionen sorgen. Auch im Zusammenhang mit Bewerbungsprozessen sind diese Wörter vermehrt zu hören. Warum? Es sind oftmals persönliche Entscheidungen in Personalabteilungen von Unternehmen, die für die Einladung eines Bewerbers oder einer Bewerberin sorgen. Auch Entscheidungen gegen Bewerber sind meist subjektiver Natur. Denn jeder Mensch hat, bewusst oder unterbewusst, Vorurteile. Passt das Foto auf dem Lebenslauf nicht? Klingt der Name nicht gut? Auch solche Dinge fließen, meist unterbewusst, in den Entscheidungsprozess mit ein. Genau aus solchen Gründen kam bereits vor einigen Jahren die Idee auf, anonymisierte Bewerbungsprozesse einzuführen. Was das bedeutet und wie sinnvoll solche Maßnahmen tatsächlich sind, erfahren Sie hier.
In einer Welt voller Vorurteile
Manchmal ist man sich der eigenen Vorurteile gar nicht bewusst. Hierbei geht es nämlich nicht zwangsläufig um bekannte Vorurteile im Bewerbungsprozess, wie zum Beispiel „Menschen mit Migrationshintergrund können aufgrund der Sprachbarriere nicht im Vertrieb arbeiten.“, „Junge Frauen planen eventuell eine Familie und werden demnächst schwanger“ oder „Männer in Führungspositionen können sich besser durchsetzen“. Sondern manche Vorurteile sind unterbewusst verankert. Hierbei kann es um eine Haarfarbe gehen, um den Klang eines Namens, um die Art sich zu kleiden oder um eine Gestik, die dem Personaler unsympathisch ist. Das subjektive Urteil eines Entscheiders spielt hier immer eine Rolle. Dadurch haben gegebenfalls einige Bewerber, trotz guter Voraussetzungen, von vorneherein gar keine Chance. Dem sollen anonymisierte Bewerbungsprozesse entgegen wirken.
Woher kommen Vorurteile?
Das Gehirn eines Menschen verarbeitet Informationen sehr schnell. Daher bilden sich bereits im Kindesalter die ersten Vorurteile. Die Werte, welche die Eltern vermitteln, empfindet man meist als grundlegend richtig. Wenn jemand also ganz andere Werte hat, passiert es sehr schnell, dass diese dann abgelehnt werden. Hier beginnt das Bilden von Vorurteilen. Schlechte Erlebnisse können sich auf diesem Weg auch schnell generalisieren, wodurch sich Vorurteile fest verankern. Ein Mensch ordnet innerhalb kürzester Zeit in seine Kategorien ein. Hierzu gehören auch „gut“ und „schlecht“. Dabei handelt es sich immer um eine subjektive Kategorisierung. Dieser Prozess, der im Gehirn stattfindet, sorgt beim Menschen in vielen Situationen dafür, dass er schnell reagieren kann. Insbesondere in Gefahrensituationen ist das besonders wichtig. Innerhalb eines Bewerbungsprozesses kann das allerdings auch zu vorschnellen Entscheidungen führen.
Anonymisierte Bewerbungsprozesse gegen Vorurteile
Die Möglichkeit, den Bewerbungsprozess zu anonymisieren, wurde bereits im Jahr 2011 durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Betracht gezogen. Mit einem Pilotprojekt wollte man Pro und Contra von anonymisierten Bewerbungsprozessen darlegen und abwägen.
Wie könnte ein anonymisierter Bewerbungsprozess aussehen?
- Erstellung einer einheitlichen Checkliste, angelehnt an einen Lebenslauf
- Alle Bewerber füllen die gleichen Bewerbungsunterlagen aus
- Anhand von messbaren Faktoren lassen sich die Bewerbungen dann objektiv auswerten
- Name und Foto des Bewerbers sowie weitere personenbezogene Daten sind damit überflüssig
Die messbaren Faktoren in den einheitlichen Bewerbungsunterlagen sollten lediglich auf die Leistung des Bewerbers abzielen. Abschlüsse, Qualifikationen und Berufserfahrung sollten in den abgefragten Daten vorhanden sein, um die Bewerbungen vergleichbar und bewertbar zu machen. Anonymisierte Bewerbungsprozesse sollen Diskriminierung verhindern, Vorurteilen keinen Platz lassen und für mehr Chancengleichheit bei der Rekrutierung von Arbeitnehmern sorgen. Personenbezogene Daten oder Charaktereigenschaften sollen im ersten Schritt ausgeklammert werden und könnten dann gegebenfalls in einem persönlichen Vorstellungsgespräch abgefragt werden.
Vor- und Nachteile von anonymisierten Bewerbungsprozessen
Vorteile:
- Chancengleichheit für alle Bewerber/innen
- schnellere Bewerbungsprozesse durch Einheitlichkeit
- Messbarkeit der Qualifikationen, ohne Einbindung subjektiver Entscheidungen
- Möglichkeit der Erschließung neuer Bewerbergruppen
Nachteile:
- hoher bürokratischer Aufwand im Vorfeld
- Berufsanfänger haben aufgrund weniger Erfahrungen gegebenfalls schlechtere Chancen
- Quereinsteiger haben aufgrund fehlender berufsbezogener Erfahrung gegebenfalls schlechtere Chancen
- Individualität einzelner Bewerber wird nicht berücksichtigt
- nicht jede Stelle lässt sich auf diesem Weg besetzen, da für bestimmte Positionen (wie beispielsweise Management oder kreative Berufe) eine einheitliche Checkliste untauglich ist
Kritik an den anonymen Bewerbungsprozessen
Noch bevor sich anonymisierte Bewerbungsprozesse überhaupt durchsetzen konnten, hat man die Idee scharf kritisiert. Hier war die Rede davon, dass sich Diskriminierung dadurch nicht tatsächlich beseitigen lässt. Es handele sich lediglich um einen Aufschub. Denn während entsprechende Prozesse anfangs noch anonym sind, werden die personenbezogenen Daten dann spätestens im Vorstellungsgespräch abgefragt/deutlich. Ein einheitlicher Prozess sei außerdem nicht für alle Positionen anwendbar.
Faire Bewerbungskultur in Deutschland
Die Skepsis vieler Unternehmen und Bewerber ist meiner Meinung nach begründet. Vielleicht geht ein komplett anonymes Bewerbungsverfahren einen Schritt zu weit. Vielleicht lässt sich die Idee erst einmal in Teilen umsetzen. Um dann ein entsprechendes Bewerbungsverfahren langfristig einführen zu können. Das Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes konnte abschließend keine konkreten Daten und Zahlen liefern. Ein positives Ergebnis gab es allerdings. Denn einige der Unternehmen, die an der Studie teilnahmen, führen noch heute manche Bewerbungsprozesse anonym durch. Zudem hat man festgestellt, dass sich die Chancen von Migranten und Frauen durch anonymisierte Bewerbungsprozesse verbessert haben.
Titelbild: Adobe Stock; Thaut Images