Überstunden: Per aspera ad astra …und zurück!
Kaum jemand macht sie mit Begeisterung. Wie viel man davon machen darf, das ist – eigentlich – ziemlich klar im Gesetz geregelt. Auch, ob man sie einfach so verlangen darf als Chef. Und einen guten Ruf haben sie in Zeiten, in denen die Work-Life-Balance in aller Munde und die Generation Y auf dem Vormarsch ins Berufsleben ist, sowieso nicht. Trotzdem gibt es sie. In keinem Land Europas außer den Niederlanden sei der Unterschied zwischen tariflich vereinbarter und tatsächlich geleisteter Arbeitszeit so groß wie in Deutschland. Das sagt eine EU-Studie von Eurofound. Und die müssen es ja wissen! Worum es geht? Na, um Überstunden natürlich!
Warum werden Überstunden gemacht?
Nach den in der Statistik genannten Zahlen macht sie wohl fast jeder: Sie, Sie auch, Sie vielleicht nicht, aber Sie … der Herr da hinten mit dem gut geschnittenen Anzug und der eleganten Krawatte, Sie doch ganz bestimmt! Zahlen lügen nicht! Warum machen Sie Überstunden? Weil Sie nichts Besseres vorhaben und außerdem „alle“ sie machen? Um Ihre Arbeit überhaupt zu schaffen? Weil es anders gar nicht geht? Weil Ihr Chef Ihnen keine Wahl lässt und Sie es deshalb einfach müssen? „Alles falsch!“, sagen Sie!
Motivation zeigen!
Sie wollen damit Ihr Engagement für die Firma zeigen! Sie wollen, dass Ihr Chef mitbekommt, dass Sie sich über das übliche Maß hinaus für das Wohl und Wehe der Abteilung, des Unternehmens interessieren. Sie wollen zeigen, dass Sie belastbar sind. Dass betriebliche Belange und berufliche Entwicklung in Ihrem Leben ganz weit vorne stehen. Sie wollen also Karriere machen, mindestens eine Gehaltserhöhung auf diese Weise herausarbeiten! Und um dieses hohe Ziel zu erreichen muss man den steinigen Weg gehen. Überstunden der richtige Weg. Punkt.
Sind Überstunden tatsächlich der richtige Weg?
In Zeiten, in denen die technischen Möglichkeiten neue Formen der Arbeit ermöglichen, ist das allerdings gar nicht mehr so einfach. Früher genügte es, am Büroschreibtisch sitzen zu bleiben in der Hoffnung, dass einen die richtigen Leute auch sehen würden. Die sich dadurch beeindrucken lassen würden. Nur, wie stellt man das heute in Zeiten von Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit am geschicktesten an? Stechuhren hatten da doch eine wunderbare Beweiskraft!
Den Trick, Mails schon im Laufe des Tages zu bearbeiten, aber erst von zuhause aus spät nachts loszuschicken, kennen in der Zwischenzeit viele. Das Diensthandy nie auszuschalten und immer erreichbar zu sein hilft nur, wenn auch wirklich „wichtige Leute“ etwas nach Feierabend von Ihnen wollen. Und wenn Sie mit dem Risiko umgehen können, dass Ihr Lebenspartner irgendwann vielleicht völlig ausrastet und mit der Hälfte der Möbel und der Espressomaschine wortlos verschwindet. Natürlich gehört zum Karrieremachen auch heute noch dazu, dass man Engagement zeigt. Und das wird natürlich auch sichtbar über die Zeit, die man dem Unternehmen widmet. Sie sind ehrgeizig, wollen etwas erreichen, etwas aus Ihrem Leben machen? Das ist Ihnen der Einsatz wert?
Lassen Sie sich vorher folgende Hinweise durch den Kopf gehen und entscheiden Sie dann!
- Jeder Chef freut sich über fleißige Mitarbeiter, die die Abteilung klaglos am Laufen halten. Warum sollte er auf sie verzichten und sie wegbefördern?
- Welche Erwartungen schüren Sie, wenn Sie 24/7 erreichbar sind? Was traut man Ihnen dann zu? Außer, dass Sie wohl der geborene „Geh-her-da“ sind, der Hiwi für die „niederen Dienste“!
- Nicht alle, die Überstunden um der Karriere willen machen, werden auch tatsächlich befördert, selbst dann nicht, wenn sie gute Leistungen bringen. Warum das so ist? Es gibt überall mehr Indianer als Häuptlinge. Dazu wird so mancher neue Häuptling auch ganz bewusst von außen ins Unternehmen geholt.
Aber auch wenn Sie Ihr Ziel – die Beförderung und die große Karriere – erreichen: Wenn man angekommen ist in seiner Wunschposition, fängt mitnichten das normale Leben an, in dem Sie Ihr Einkommen und Ihre Position genießen können. Dann gehören Überstunden ganz oft einfach zum Arbeitsalltag. Selbst wenn man nicht mehr im Büro sitzt, trägt man oft einen Rucksack voll von Gedanken, Sorgen und Überlegungen rund um den Job mit sich. Abends, an den Wochenenden, im Urlaub … Work-Life-Balance ade! Genau deswegen wird ein hohes Gehalt gerne auch mal als Schmerzensgeld bezeichnet.
Ihre Sabine Kanzler
Bild: Jason Rogers | flickr.com | CC by 2.0 | Ausschnitt