Worthülsen: Das Risiko von Sprachbildern

Ostern ist vorbei und damit rückt auch die brennende Frage in den Hintergrund, was nun zuerst da war: die Henne oder das Ei? Denn an Ostern bringt der Osterhase die Eier, die Frage ist ausschließlich, ob er das in angemessener Menge tut. Alles andere ist uninteressant. Stattdessen drängt sich die Frage auf, ob in der Kombination mit „Hülse“ zuerst die „Hülsenfrucht“ oder die „Worthülse“ unser Bewusstsein erreicht hat. Die Hülsenfrucht wird ja prinzipiell als etwas Gutes beschrieben: nahrhaft, aufgrund ihres hohen Eiweißgehaltes und wegen möglicher großer Erträge auf kleinen Flächen wichtiger Bestandteil der menschlichen Ernährung. Die Nachteile (die Entwicklung von Gasen im Darm) sind bekannt und nicht sonderlich geschätzt … und so kommen wir zu „Worthülsen“, was mir dann doch die Folge der „Hülsenfrucht“ zu sein scheint.

Worthülsen

Der Duden hilft uns wieder einmal weiter! Hülse, die: röhrenförmige, längliche feste Hülle, in die man etwas hineinstecken kann, die etwas fest umschließt, die Teil von etwas ist. Eine Hülse also ist erst einmal hohl und lässt sich mit dem befüllen, was man so grade zur Hand hat. Das, womit man sie befüllt, wird erst einmal unsichtbar, es steckt fest in einer neuen Umhüllung. Gewinnt es dadurch – losgelassen auf die Menschheit – eine neue Bedeutung? Auch hier nehmen wir zur Klärung den Duden zu Hilfe! Wort­hül­se, die; Gebrauch: abwertend; Bedeutungsübersicht: seines Inhalts, des eigentlichen Sinngehalts entleertes Wort.

Verschlüsselte Sprache durch Worthülsen

Bekannt, beliebt und belacht sind solche Worthülsen unter dem Begriff „Buzzwords“. Gern genommen zur Zeit sind „Content Marketing“ und „viral“. „Innovativ“, „ganzheitlich“ und „Teamplayer“ laufen seit Jahren vor allem in Stellenangeboten. Kunden und Teilnehmer „werden abgeholt“ im Consulting und im Verkauf und selbstredend „comittet“ man sich überall zu einem „zukunftsorientierten“ Verhalten.

Jede Branche, jedes Unternehmen, jedes soziale Milieu, ja sogar jeder Freundes- und Familienclan hat ein eigenes Bullshit Bingo und spielt es mehr oder weniger ausgiebig und leidenschaftlich. Kennen Sie das Ihre? Welche Sprachbilder mögen Sie? Welche gebrauchen Sie selbst? Und ist ihr Gebrauch überhaupt etwas, was Sie bewusst bei sich selbst wahrnehmen?

Wer im Job oder auch anderswo eine verschlüsselte Sprache spricht – und sei sie noch so schwachsinnig – will damit demonstrieren: Ich gehöre dazu. Ich spiele ganz vorne mit. Und damit kommen wir zu den Kernfragen, die sich jeder früher oder später stellen muss:

  • Will ich dazu gehören?
  • Will ich verstanden werden?

Oder will ich mich separieren? Weil mir beispielsweise die mit den Worthülsen verbundenen Inhalte (respektive Ungenauigkeiten) so auf die Nerven gehen, dass ich sie kaum ertragen kann? Weil mich ein psychosomatischer Brechreiz überfällt, wenn ich nur einmal noch hören muss, dass wir als Unternehmen uns gerade mal wieder „neu erfinden“, dass wir „noch mal richtig Gas geben müssen“, um unsere Umsatzziele zu erreichen?

Will man wirklich sagen, was man denkt?

Die Alternative? Präzision im Sprechen, in der Wortwahl. Und davor: Präzision im Denken. Abwägen, ob man wirklich sagen will, was man denkt. Die Folgen bedenken … und abwägen. Als Mitarbeiter, ob man den Chef im Meeting wirklich fragen will, wie denn dieses „Sich neu erfinden“ aussehen soll. Neue Produkte? Neues Marketing? Ein Austausch der Belegschaft? Oder als Vorgesetzter, wenn man zu seinem Mitarbeiter sagt, sein Handeln sei „nicht zielführend“! Das klingt erheblich netter als „Das, was Sie machen, ist ziemlicher Mist!“

Das Risiko solcher Worthülsen? Je mehr „Hülse“, umso mehr „Freiheit“ für jeden, dort hineinzupacken, was gerade er darunter versteht. Aber auch für den Empfänger der Botschaft, genau das auszupacken, was er verstehen will. Leider liegt in solchen Situationen oft eine Art „Haut­gout“ in der Luft. Und zur Erklärung für heute ein letztes Mal der Duden: Hautgout, der: eigentümlich scharfer, würziger Geschmack und Geruch, den das Fleisch von Wild nach dem Abhängen annimmt. Früher hätte man dann gesagt: „Hier stinkt irgendwas!“

Mit besten Grüßen Ihre Sabine Kanzler

Bild: Isabel Eyre | flickr.com | CC by 2.0 | Ausschnitt

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