Geschäftsfelder: Orientierungshilfe für den Vertrieb
Als ich 1996 zum ersten Mal von Peter Grimm und seinem Konzept der Geschäftsfelder hörte, war ich von der Einfachheit begeistert, mit der er so etwas komplexes wie den Markt an sich beschrieb. Später kam sein Buch „Der verratene Verkauf“ heraus. Inzwischen kennt man sein Konzept schlicht unter dem Begriff „Marktspiel“. Ich werde Ihnen gleich erklären, was das Besondere daran ist und wie es Ihnen helfen kann, Ihre Vertriebsstrategie kritisch zu hinterfragen und eventuelle Kurskorrekturen vorzunehmen. Aber der Reihe nach.
Es ist denkbar, dass der Urheber nicht in allen Punkten mit meiner Interpretation des Systems einverstanden ist. Doch für mich liegt der besondere Reiz des Modells darin, dass es die unglaublich komplexe Realität so einfach darstellt, dass man sich mühelos daran orientieren kann. So wie eine Autobahnkarte, die alle Städteverbindungen abbildet, ohne jede kleine Abbiegung zu zeigen. Eben eine Orientierungshilfe, ohne die Realität in allen Details wiederzugeben.
Das Marktspiel
Das Modell hat zwei Achsen. Die waagerechte steht für das Know-how des Kunden. Links finden wir gut informierte Kunden, die den Markt kennen und wissen, was sie wollen. Rechts hingegen finden wir diejenigen, die zwar ihr Problem kennen, jedoch die Lösung und die Qualität des Angebots nicht beurteilen können.
Die senkrechte Achse zeigt die Austauschbarkeit des Anbieters, bzw. die Wechselbereitschaft des Kunden. Oben auf der Achse stehen Kunden und Anbieter, die eine geringe Wechselbereitschaft aufweisen und nach einer langen und engen Geschäftsbeziehung suchen. Unten sind diejenigen Kundenbeziehungen abgebildet, die durch Beliebigkeit und eine geringe Kundenbindung geprägt sind.
So ergeben sich vier Geschäftsfelder, die sehr unterschiedliche Ausgangssituationen beschreiben.
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Verkauf nach einfachem Muster
Im Modell unten links trifft hohe Austauschbarkeit auf hohes Kundenwissen. Dort finden wir Geschäftsfelder, bei denen der Kunde genau weiß, was er will und dass er es bei wechselnden Anbietern bekommen kann. Dieses Geschäftsfeld ist die Heimat der Ausschreibung. Genau definierte Anforderungen und mehrere Anbieter, die diese erfüllen können. Im Bereich der Konsumgüter handelt es sich um das Feld der Discounter. ALDI ist ein Beispiel für ein erfolgreiches Unternehmen in diesem Geschäftsfeld.
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Beziehungsorientierter Verkauf
Oben links ist die enge Kundenbeziehung mit hohem Kundenwissen verknüpft. In diesem Geschäftsfeld weiß der Kunde zwar, was er will und bekommen wird, zugleich hat er jedoch eine hohe Bindung zu einem Anbieter. Dabei handelt es sich häufig um emotional besetzte Marken wie etwa BMW oder Apple oder auch um emotionale Präferenzen wie beispielsweise die Stammkneipe.
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Abschlussorientierter Verkauf
Unten rechts trifft ein geringes Kundenwissen auf große Austauschbarkeit. Hier treffen wir auf flüchtige Kundenbeziehungen, wo Kaufentscheidungen eher intuitiv getroffen werden. Typische Beispiele dafür sind Vodafone und T-Mobile. Aber auch auf das Haustürgeschäft angelegte Geschäftsmodelle, bei denen der Kunde in kurzer Zeit und ohne viel Wissen eine Kaufentscheidung trifft.
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Beratungsorientierter Verkauf
Oben rechts finden wir das Feld der ausführlichen Beratung und intensiven Betreuung, das durch eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Kunde und Anbieter geprägt ist. Die Kunden in diesem Bereich verfügen über wenig Sachverstand. Jedoch haben sie eine wichtige Entscheidung zu treffen, um ein Problem zu lösen. Hier reicht die Spanne vom Konsumgütergeschäft des Küchenstudios bis hin zur komplexen Software von SAP oder dem Beratungsauftrag des Unternehmensberaters.
Wer sind Ihre Kunden?
Betrachten wir die Geschäftsfelder aus der Kundenperspektive. Das Entscheidende ist, dass die Auswahlparameter der Kunden das Geschäftsfeld bestimmen. In welchen Geschäftsfeldern sind Sie heute erfolgreich unterwegs? Die Betonung liegt auf erfolgreich! Wo sind Ihre besten Kunden? Welche Art von Kundenbeziehung ist besonders ertragreich gewesen? Welcher Kunde passt am besten zu Ihrer Art des Angebotes?
Wenn Sie jetzt denken, dass Sie Kunden in mehreren oder gar allen Bereichen haben, dann mag das stimmen. Aber welches davon sind erfolgreiche Kundenbeziehungen? Wo liegt Ihr Schwerpunkt? Welche Kunden haben Sie am liebsten und welche können Sie zudem sehr gut bedienen? Und welche haben Sie sozusagen geerbt, ohne dass Sie es wirklich wollten?
Vertriebsstrategie am Kunden orientieren
Die Fragestellung, die sich daraus ergibt, lautet: Welchen Zustand haben Ihre besten Kunden hinsichtlich Know-how und Wechselbereitschaft? Sind Ihre Kunden mit viel oder wenig Marktwissen ausgestattet? Können die Kunden genau bestimmen, was sie benötigen oder brauchen sie Hilfe, um das Problem zu lösen? Wie steht es um die Treue Ihrer Kunden? Sind sie eher an Sie oder einen anderen Anbieter gebunden? Oder sind sie in höchstem Maße wechselbereit?
Natürlich stehen die Kunden in den vier Segmenten vor ganz unterschiedlichen Entscheidungssituationen, denn jedes Geschäftsfeldsegment erfordert eine andere Vertriebsstrategie. Auf welche Geschäftsfelder wollen Sie sich künftig konzentrieren? In wie vielen Geschäftsfeldern können Sie gleichzeitig erfolgreich sein, ohne sich zu verzetteln oder in den Augen der Kunden an Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Entdecken Sie die Möglichkeiten
Eventuell fragen Sie sich, wie man zwischen den benachbarten Feldern unterscheiden kann, etwa zwischen beziehungsorientiertem und beratungsorientiertem Verkauf? Das ist schwer möglich, denn beide Bereiche gehen ja nahtlos ineinander über. Die benachbarten Felder haben jeweils immer eine Gemeinsamkeit – hier etwa die Nähe zum Kunden. Unternehmen, die sich auf diese beiden Geschäftsfelder konzentrieren, sind auf Kunden mit einem Bedürfnis nach Nähe und geringer Wechselbereitschaft spezialisiert. Egal, ob viel oder wenig Kundenwissen vorhanden ist. Für den Verkäufer liegt die Herausforderung darin, in der individuellen Kundensituation zu entscheiden, wo eher Beratung oder emotionale Bestätigung und persönliche Anerkennung zu einer Kaufentscheidung führt.
Ein weiteres Beispiel für gleichzeitig bediente Geschäftsfeldsegmente könnte die Kombination „Beratungsorientierung“ und „Abschlussorientierung“ sein. Hier geht es um Kunden mit wenig Kundenwissen. Und zwar unabhängig von deren Bedürfnis nach Nähe oder Wechselbereitschaft. In dieser Kombination kommt es auf Innovation an. Wenn Unternehmen diese Kombination anstreben, muss der Verkauf darauf achten, je nach Volumen der Entscheidung eine unterschiedliche Vertriebsstrategie anzuwenden. Bei kleineren Geschäftsvolumina wird es beispielsweise darum gehen, eine schnelle Entscheidung herbeizuführen. Während der Schwerpunkt bei größeren Aufträgen auf einer gemeinsamen Lösungsfindung mit dem Kunden liegen wird.
Geschäftsfelder richtig kombinieren
Eine Kombination der beiden unten liegenden Geschäftsfelder „Einfaches Muster“ und „Abschlussorientierung“ kommt in vielen Vertriebsformen vor, die eine große Distanz zum Kunden haben. Zum Beispiel wenn sie diesen nur via Telefon oder Internet erreichen können. Die Konzentration des Vertriebs wird darauf ausgerichtet sein, den Kunden unten links eine möglichst reibungslose Einkaufserfahrung zu bieten und jene Kunden, die nicht alleine entscheiden können, möglichst zügig zur Entscheidungsreife zu führen.
Die letzte Kombinationsmöglichkeit ergibt sich auf der linken Seite, wo sich zwei Geschäftsfelder treffen, die hohes Wissen der Kunden bedeuten. Vertriebsorganisationen, die diese beiden Geschäftsfelder bedienen, haben zumeist eher einfache, klar kategoriesierbare Produkte und sind fast immer in reiferen Märkten unterwegs. Hier ist die wichtigste Vertriebsstrategie, die Differenzierung zum Wettbewerb über die persönliche Bindung oder Markenaffinität herzustellen.
Die diagonal gegenüber stehenden Geschäftsfelder sind erhebliche Gegenpole, weil sich hier die Kundenhaltung in allen Punkten genau gegensätzlich verhält. In der folgenden Episode werden wir die unterschiedlichen Vertriebsstrategien untersuchen, die sich in den vier Geschäftsfeldern anbieten.
Ihr Stephan Heinrich
Bild: Goumbik | pixabay.com