Stoppt den Optimierungswahn!
Wenn es ein Wort gibt, das einem in den vergangenen Jahren sehr oft begegnete ist es: Der Optimierungswahn. Enthusiastischer und hochmotivierter Zwillingsbruder des Perfektionismus. Höher, schneller, weiter und das in allen Lebenslagen. Da reicht es nicht, nur im Beruf erfolgreich und unentbehrlich zu sein. Nein, auch die Beziehung muss reibungslos laufen, die Kindererziehung mühelos gelingen. Die Wohnung muss blitzen und blinken und bei alledem will man natürlich auch noch aussehen, wie einem Hochglanzmagazin entsprungen. Andererseits scheint der Hang zum Perfektionismus und zum Optimierungswahn seinen Zenit erreicht zu haben.
Karriereratgeber gegen Optimierungswahn
Denn Karriereratgeber heißen neuerdings nicht mehr „Schneller schlauer“ oder „Erfolgreich durch positives Denken“. Sondern „Die Kunst des erfolgreichen Scheiterns“, „Senkrechtstarter – wie aus Frust und Niederlagen die größten Erfolge entstehen“ oder „Gibt nicht alles – gib das Richtige“. „Schluss mit Tschakka“ titelt Zeit Online und prophezeit dem ewigen Optimierungswahn ein vorzeitiges Ende. Viele Autoren haben jedenfalls die Niederlage als Voraussetzung für den Erfolg entdeckt.
Darunter auch Raphael M. Bonelli, Psychiater und Neurowissenschaftler an der Sigmund Freud Universität in Wien mit seinem neuen Buch „Perfektionismus: Wenn das Soll zum Muss wird“. Darin schildert er anhand zahlreicher Erlebnisse aus der eigenen Praxis wie Perfektionisten ticken. Der Leser erfährt von Patienten mit Adonis-Komplexen, von „Wespentaillen“ oder „Elefantenschenkeln“. Und von all den anderen, die dem Schlankheits-, Leistungs-, Gesundheits- oder Schönheitswahn verfallen sind. Und die an den eigenen Ansprüchen scheitern.
Mut zur „Imperfektionstoleranz“
Bei aller kurzweiligen Darstellung macht Bonelli in seinem Buch doch deutlich, dass es sich bei ausgeprägtem Perfektionismus nicht um eine heimlich bewunderte Eigenschaft handelt. Sondern dass das zum Teil tragische Ausmaße bei den Betroffenen annehmen kann.
In den einzelnen Geschichten dürfte sich manch einer sogar wiederfinden und Bonellis „Gegenmittel“ entdecken: Imperfektionstoleranz, also die Befreiung von „Ich-Sucht, Kontrollzwang, Anspruch auf Fehlerlosigkeit, Verbitterung und Fremdbeschuldigung. Innere Freiheit verleiht deshalb Unbeschwertheit und natürliche Autoriät. Sie macht flexibel und unabhängig.“ Klingt doch mal nach einer sinnvollen Optimierungsstrategie.
14.11.2014
Beitragsbild: Free-Photos | pixabay.com | Ausschnitt