Rivalität im Vertrieb – Ein Interview mit Stephan Heinrich
Gibt es eine Situation, die Ihrer Erfahrung nach prädestiniert, um Rivalität in Vertriebsteams entstehen zu lassen?
Oft kommt es vor, dass in Einzelfällen nicht genau geklärt ist, wem der Kunde „gehört“. Dann ist der Kollege ebenso eine Bedrohung des eigenen Erfolgs, wie jeder externe Wettbewerber auch. Wenn dann noch das Entlohnungssystem darauf ausgerichtet ist, dass Bonus und Provision nur an einen ausgezahlt wird, ergibt sich daraus die Motivation der Beteiligten, möglichst nichts vom eigenen Verdienst abzugeben. Auch wenn für solche Fälle eine Aufteilung der Provision vereinbart ist, mag das ein Kompromiss sein, der aber das Problem des internen Wettbewerbs nicht löst.
Und wie kann man dem als Führungskraft entgegenwirken?
Wenn man das Problem wirklich lösen will, kann man nur an der Wurzel anpacken und das Provisionssystem drastisch ändern oder besser abschaffen. Vielen Unternehmen fehlt dazu der nötige Mut und sie versuchen innere Erkrankungen mit Pflastern zu lindern. Dann werden alberne Teambildungsmaßnahmen verordnet, Intranet, CRM und andere interne Kommunikationssysteme angeschafft und in endlosen Meetings den Mitarbeitern vorgebetet, dass Zusammenarbeit wichtig ist. Das bleibt ein Lippenbekenntnis, weil die Bezahlung nach wie vor den einen Torschützen belohnt und nicht den genialen Passgeber.
Aber kann Rivalität in manchen Fällen nicht auch förderlich sein, bzw. was wäre aus Ihrer Sicht ein gesundes Konkurrenzverhalten?
Das hängt von der Entwicklungsstufe des Unternehmens ab, um mit dem Modell der 9Levels zu sprechen. Im „roten Level“ finden wir Organisationen, die sich über den Wettbewerb definieren. In neuen Märkten und generell, wenn Märkte erobert werden müssen, ist das sicher die beste Einstellung. Wenn Märkte reifen, müssen Organisationen mitreifen um darauf zu reagieren. Dann ist der interne Kampf eher hinderlich.
Erfolgreiche Verkäufer sind es oft nicht nur aus fachlichen Gründen, sondern weil sie auch mit ihrer Persönlichkeit überzeugen – ist daher eine ausgeprägte Rivalität, bzw. Missgunst untereinander vorprogrammiert?
Nicht zwingend. Wie schon gesagt, hängt das von der Entwicklungsstufe des Teams ab. Und die Entwicklung in eine höhere Stufe wird dummerweise in vielen Unternehmen verhindert, weil alle Entlohnungssysteme genau auf diese Rivalität ausgerichtet sind. Schließlich kann es nur einen „Torschützen des Jahres“ geben. Wenn an diesen Kennzahlen das Belohnungssystem ausgerichtet ist, dann sinkt die Produktivität. Im Mannschafts-Sport verstehen wir das inzwischen – in Unternehmen fehlt oft noch der Mut die notwendigen Änderungen durchzusetzen.
Sie sprachen davon, dass die Unternehmen umdenken müssen. Könnte sich nicht auch der weniger erfolgreiche Verkäufer Tipps bei einem umsatzstarken Kollegen holen statt mit Neid oder Missgunst zu reagieren?
Wenn der Erfolg ausbleibt, lohnt es sich zunächst die Gründe zu verstehen. Oft wird von „Scheitern“ gesprochen, wenn die vom Unternehmen definierten Wachstumsziele nicht erreicht wurden. Da wird dann schnell einer zum Problemfall erklärt, obwohl er relativ – etwa im Vergleich zum Wettbewerb – gut war. Wenn in einem schrumpfenden Markt die Marktführerschaft gesteigert wurde und dennoch die Wachstumsziele nicht erreicht, ist das dann gut oder schlecht? Es lohnt sich zu klären, welche der Gründe a) Markteinfluss, b) Können des Verkäufers, c) Eignung des Verkäufers oder d) Eigen-Motivation nicht passt. Oft ist es auch eine Mischung und die Verbesserung kommt, wenn man die Ursachen beseitigt.
Haben Sie im Laufe Ihrer Zeit als Vertriebscoach ein ausgeprägtes Gespür dafür entwickelt, in welchen Teams es aus genau diesem Grund im Getriebe knirscht?
Es gibt unendlich viele Merkmale für schlechte Teams. Umgekehrt gibt es jedoch eine klar überschaubare Zahl von Merkmalen für erfolgreiche Teams. Betrachten wir es also mal von der Erfolgs-Seite. Dies sind die Erfolgsfaktoren:
Motivation passt zur Anforderung: Für Feuerwehreinsätze benötigen wir anders motivierte Menschen als für eine detaillierte Wirtschaftsprüfung. Je nach Markt muss die Eigenmotivation der Mitarbeiter zur Anforderung passen.
Klarheit der Ziele: Was wollen wir gemeinsam erreichen? Diese Frage bleibt in vielen Unternehmen unbeantwortet oder diffus. Erfolg kommt durch unstrittige, verständliche, anerkannte und wertvolle Ziele.
Transparenz der Ergebnisse: Sport ist unter anderem deshalb so populär, weil die Ergebnisse der Anstrengung sofort sichtbar werden. Die Tabelle der Bundesliga, die Weltrangliste beim Tennis und die Zeiten beim Marathon sind transparent. Unternehmen können das nutzen, indem sie die Ergebnisse transparent machen und so für dringend notwendiges Feedback sorgen.
Kann durch solche Maßnahmen das Gleichgewicht in Vertriebsteams wiederhergestellt werden?
Balance ist kein Zustand sondern ein rekursiver Prozess. Nichts ist in der Natur immer ausgewogen. Immer wirken Kräfte in die eine oder andere Richtung. So, als ob Sie einen Besenstiel senkrecht auf Ihrer Hand balancieren. Solange Sie die Kräfte ausgleichen, klappt es. Wenn Sie den Besenstiel noch so senkrecht abstellen, wird er umfallen.
28.10.2014
Bild: suju | pixabay.com
Als Spezialist von komplexen Produkten und Dienstleistungen hat es sich Stephan Heinrich zur Aufgabe gemacht, Vertriebsergebnisse nachhaltig zu steigern. Auf der Basis seiner zwanzigjährigen Erfahrung in leitenden Positionen der IT-Branche gilt Stephan Heinrich als führender Experte für den B2B-Vertrieb. Zu seinen Stärken zählen der wertschätzende und zugleich herausfordernde Umgang mit Teilnehmern und die Fähigkeit, Menschen aus der Komfortzone zu bewegen. Stephan Heinrich ist Vater von zwei Kindern und lebt in München und in Trier.